Europas „Bitcoin-Schutzengel“ Stefan Berger im Interview – Warum die MiCA-Regulierung so wichtig ist

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Der europaische Ausschuss fur Wirtschaft und Wahrung (ECON) beschaftigt sich letzter Zeit mit einer umfassenden Kryptoregulierung – Markets in Crypto Assets, kurz MiCA. Die neuen Regulierungsvorschriften sollen mit ihren 126 Artikeln einen vollumfanglichen Rechtsrahmen fur den Umgang mit Kryptowahrungen innerhalb der EU schaffen. 

Dr. Stefan Berger (CDU) ist Berichterstatter des EU-Parlaments fur die kommende MiCA-Verordnung. Der deutsche Politiker hat sich in den zugehorigen Verhandlungen unter anderem vehement gegen ein von Grunen, Linken und Sozialdemokraten vorgeschlagenes Verbot des Proof-of-Work-Verfahrens eingesetzt, auf dem auch Bitcoin basiert. Der Christdemokrat hat stattdessen einen alternativen Vorschlag erarbeitet, nach dem Kryptowahrungen in ein neues Taxonomie-System fallen sollen, mit dem bereits Geldanlagen und Fonds auf ihre Nachhaltigkeit hin bewertet werden.

Im Gesprach mit Cointelegraph auf Deutsch erzahlt der Unionspolitiker von seinem personlichen Interesse an Krypto, den Auseinandersetzungen um das geplante Verbot von Proof-of-Work und verrat seine Meinung zu der neuen “Transfer of Funds”-Regulierung. 

Cointelegraph auf Deutsch: Herr Dr. Berger, Sie haben den Entwurf der MiCA-Verordnung federfuhrend ausgearbeitet. Warum haben Sie sich dem Krypto-Raum uberhaupt gewidmet bzw. woher stammt ihr personliches Interesse an diesem Thema?

Stefan Berger: Bevor ich Mitglied des Europaischen Parlaments war, habe ich mich mit vielen Fragen zur Innovationen beschaftigt, das hei?t auch mit Wissenschaft und Geschehen im Krypto-Bereich, mit der Tokenisierung, die ich als technologische Zeitenwende bezeichnen kann. Es geht nicht nur um Bitcoin, sondern darum, dass die Tokenisierung unser Wirtschaftsleben verandern wird. Das Weltwirtschaftsforum geht davon aus, dass in den nachsten zehn Jahren Vermogenswerte im Billionen Bereich tokenisiert werden. Wir werden alle mehr oder weniger auf irgendeiner Basis mit Tokens konfrontiert sein. Das wird vollig neue Geschaftsmodelle mit sich bringen und die Art und Weise, in der wir einkaufen und leben, grundlegend verandern. 

Daruber hinaus finde ich Konzepte wie Bitcoin, die Alternativen zum bisherigen Modell der Zentralbank darstellen, philosophisch spannend, denn bei diesen mussen neue Denkweisen her. Wir – Christdemokraten – sind keine Revolutionare. Trotzdem sehen wir was Neues. Wir sind dezentral, ich denke auch dezentral. Deutschland ist eine foderale Republik, das sagt schon alles. Ich versuche, einen Ausgleich zu schaffen und Leitplanken zu entwickeln, wie wir diese Welt vernunftig fur alle nutzen konnen. Deswegen befasse ich mich mit diesem Thema. 

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CT: Wie ist das Gesetzgebungsverfahren um die MiCA ihrer Meinung nach gelaufen – von der ursprunglichen Idee einer einheitlichen europaischen Kryptoregulierung bis hin zum Abstimmungsprozess?

Stefan Berger: Der Abstimmungsprozess lauft wie folgt: Die EU-Kommission macht einen Gesetzesvorschlag. Dieser Vorschlag muss durch das Europaische Parlament, wo er verandert werden kann. Danach handeln die Kommission, der Ministerrat, also die Vertretung der Staats- und Regierungschefs, und das Parlament diesen Gesetzesvorschlag in einem Trilog aus und mussen am Ende einen Kompromiss finden. 

Der erste Vorschlag der EU-Kommission mit dieser MiCA-Verordnung kam im September 2020 zur richtigen Zeit. Wir stehen an der Schwelle dieser technologischen Entwicklung und die Verordnung hat mehrere Punkte aufgegriffen, die dringend geregelt werden mussen. Wie soll der Krypto-Markt uberhaupt kontrolliert werden? Wer soll ihn kontrollieren? Wie sollen Coins zugelassen werden? Wer darf Coins zulassen? Oder wenn jemand Coins zulassen oder emittieren will, welche Voraussetzungen muss er erfullen und welchen Verbraucherschutz soll es geben? Daruber hinaus konnte sich die von Facebook geplante Digitalwahrung Libra (inzwischen in “Diem” umbenannt; das Projekt wurde zudem schon eingestellt  – CT auf Deutsch) zu einer Gefahr fur die Souveranitat der Europaischen Zentralbank entwickeln. Deswegen fand ich die Verordnung der Kommission gut.

MiCA sollte eine reine zukunftsoffene Finanzmarktregulierung sein und technologisch neutral gehalten werden. Es bestand zuerst Einigkeit bei MiCA, aber dann wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der Verhandlungsfuhrer der Grunen, Sven Giegold, gegen Ernest Urtasun ausgetauscht. Und dann wollten die Grunen kurz vor der Abstimmung den Antrag wegen Umweltaspekten plotzlich komplett ablehnen. Es gab im Nachhinein viele Diskussionen zum Thema Nachhaltigkeit, ob man solche Konsensmechanismen wie den Proof-of-Work, die bestimmte Nachhaltigkeitskriterien nicht erfullen, und das betrifft auch Bitcoin, verbieten sollte. 

CT: Weshalb wurde der Umweltaspekt so exponiert in den Verhandlungsprozess aufgenommen?

Stefan Berger: Das war die Initiative von den Grunen, Linken und Sozialdemokraten. Klar, eine Partei, fur die Umweltbelange eine gro?e Rolle spielen, sieht den Proof-of-Work als Energieverschwendung an. Auch die Sozialdemokraten wollen ohnehin keine dezentralen Projekte. Auch die Linke, die eher zentral sind, sehen in Bitcoins und Co. keinen gesellschaftlichen Nutzen.

Wegen diesen spontanen Auseinandersetzungen musste ich die Abstimmung, die eigentlich Ende Februar stattfinden sollte, um zwei Wochen verschieben. Am Ende habe ich dann eine eigene Losung eingebracht, um einen Kompromiss zu finden, und zwar: Krypto-Assets mit der EU Taxonomy for Sustainable Finance zu verbinden.

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CT: Was bedeutet das genau? 

Stefan Berger: Die Taxonomie wurde von der EU-Kommission entwickelt und stellt eine Art Klassifizierungsschema fur nachhaltige Investitionen dar. Die Kommission bewertet alle moglichen Finanzprodukte, die auf dem Markt sind, danach, ob sie nachhaltig bzw. okologisch sind. Dann konnen die Nachfrager selbst aufgrund dieser Bewertung entscheiden, ob sie in dieses oder jenes Finanzprodukt investieren oder nicht.

So war mein Kompromiss: Okay, wenn wir Aktienfonds von der Kommission bewerten lassen, konnen wir auch Krypto-Assets oder Stablecoins bewerten lassen. Danach kann jeder selbst entscheiden, ob er weitermacht. Das Umdenken uber die Finanzprodukte, in die man investiert, und kritische Auseinandersetzung mit eigenen Assets finden bereits statt. 

CT: Wie Sie schon erwahnt haben, ist die parlamentarische Verabschiedung der MiCA-Verordnung nur ein erster wichtiger Schritt im langen Prozess der EU-Gesetzgebung. Was denken Sie, konnte das Verbot von Proof-of-Work im Trilog zwischen Parlament, Kommission und EU-Ministerrat noch einmal zum Thema werden?

Stefan Berger: Jetzt sind wir im Trilog, und die ersten Meinungen wurden schon abgegeben. Fur die Mehrheit geht die Taxonomie-Regelung fast schon zu weit. Die Einzigen, die im Parlament ein Verbot wollen oder wollten, sind Rot/Grun und die Linke. Von daher kann man davon ausgehen, dass das Proof-of-Work-Verbot vom Tisch ist und wir vielleicht mit der Taxonomie-Losung einen Weg finden, der nicht zu kompliziert sein wird. Wir haben schlie?lich mehr als 10.000 Coins und wenn man sich jeden einzelnen ansieht, dann ist das schon viel Arbeit. 

Ich denke aber, dass wir am Ende zu einem guten Ergebnis kommen und sich die Diskussion nicht wieder in die Richtung Verbot von Proof-of-Work entwickelt, sondern genau umgekehrt.

CT: Lasst die MiCA-Verordnung in ihrer aktuellen Version, wenn Sie endgultig verabschiedet ist, noch Spielraum auf nationaler Ebene? Zum Beispiel, fur die BaFin?

Stefan Berger: Das ist eine Verordnung, das hei?t, sie gilt sofort und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Und das Gesetz wird, wenn wir den Trilog Mitte des Jahres beendet haben, Mitte/Ende 2023 in Kraft treten. Die Verordnung lasst relativ wenig Spielraum, und die BaFin oder die jeweiligen Finanzaufsichtsbehorden in den Mitgliedsstaaten mussen mit den europaischen Aufsichtsbehorden wie EBA (Europaische Bankenaufsichtsbehorde) und ESMA (Europaische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehorde) zusammenarbeiten.

Die MiCA-Verordnung genie?t aber viel Zustimmung in der europaischen Krypto-Community. Viele Mitgliedstaaten, sind daran interessiert, eine derartige Verordnung zu haben, die Wachstum ermoglicht und Entwicklungen offen halt. Wir sind der erste Kontinent, der uberhaupt so eine Regulierung hat, deswegen gucken viele hin. 

CT: Sie haben in einem Twitter-Post geschrieben, dass Sie die Ergebnisse uber die Anderungsantrage zur Transfer of Funds Regulation (TFR) sehr bedauern. Warum?

Stefan Berger: Wir haben unsere Punkte zu Anti-Money-Laundering (AML), also Geldwaschebekampfung, nicht in die MiCA gepackt, sondern hierfur hat die Kommission ein eigenes Paket namens Transfer of Funds vorbereitet. Darin sind verscharfte Regeln fur die Offenlegung von Identitaten beim Transfer von Kryptowerten vorgesehen.

Diese Regulierung fur Geldwasche begru?e ich erst mal im Grundsatz. Es ist gut und richtig, wenn man eine Regulierung hat, um kriminelle Aktivitaten bzw. Terrorismusfinanzierung und Geldwasche zu verhindern.

Da geht es jedoch auch um Unhosted Wallets (Krypto-Konten, die nicht von einem Verwahrungsdienstleister bzw. zentralen Exchanges wie BINANCE oder COINBASE betreut werden – CT auf Deutsch), und diese Entscheidung begru?e ich nicht. Wenn ich in einem Supermarkt mit 100 Euro in bar bezahle, muss ich meinen Personalausweis auch nicht hinlegen bzw. mich ausweisen. Ich zahle einfach mit Cash und fertig. Und warum soll das im Krypto-Bereich anders sein? Das verstehe ich nicht. 

Wir in Deutschland lieben Bargeld und wir akzeptieren trotzdem eine EU-weite Barzahlungsobergrenze von 10.000 Euro. Warum machen wir nicht dieselben Spielregeln fur Krypto, wenn wir diese Spielregeln schon haben? Normale Welt, Krypto-Welt.

Ja, wir brauchen Regelungen. Trotzdem muss man Spielraum zum Atmen lassen. 

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CT: Haben Sie die Ergebnisse der Abstimmung zur TFR personlich uberrascht?

Stefan Berger: Mich personlich haben die Ergebnisse verwundert. Besonders das Abstimmungsverhalten der liberalen Franzosen, die unter Macron stehen, der eher ein zentralistisch denkender sozialistischer Prasident ist, auch wenn er sich anders nennt. Sie haben ihre Stimmen gegen diese Regelung abgegeben, obwohl sie eigentlich dafur stimmen mussten. Das habe ich nicht erwartet. 

CT: Wie geht es mit der TFR weiter? Konnen Sie schon einschatzen, ob diese Regelung auch von Kommission, Parlament und EU-Ministerrat begru?t wird? 

Stefan Berger: Also es ist ein anderer Trilog, der hat mit mir gar nichts zu tun. Ich bin nicht Berichterstatter bei der TFR. Aber dieser Abschnitt uber Unhosted Wallets wurde ahnlich wie bei der MiCA-Verordnung im Bereich Proof-of-Work weder von dem Rat noch von der Kommission vorgeschlagen, sondern von Linken, Sozialdemokraten und Grunen. Deshalb kann es sich der Trilog vielleicht noch anders uberlegen.

Klar, dahinter steckt diese Idee: Wer etwas mit Krypto macht, hat grundsatzlich bose und versteckte Absichten. Und deswegen mussen wir diese Menschen maximal kontrollieren. Viele, die zentralistisch denken, wollen dezentrale Systeme sowieso nicht. Im Grunde genommen haben wir auch ein bisschen Rechts-Links-Spaltung im Europaischen Parlament uber dieser Frage. Aber ich bin noch optimistisch, dass die Kommission und der Ministerrat das etwas anders sehen. 

Ich hoffe auch, dass sich der deutsche Finanzminister Christian Lindner, weil er zu den Liberalen gehort, dafur einsetzt, dass diese Regelung in dieser Form nicht stattfindet. Aber das wird schwierig: Die Mehrheit im Rat ist eher sozialistisch und Lindner selbst befindet sich in Deutschland in einer Koalition mit Sozialdemokraten und Grunen. 

CT: Wie schatzen Sie das Verstandnis unter deutschen bzw. europaischen Politikern hinsichtlich Kryptowahrungen und Blockchain ein? Werden die Chancen und Risiken des Krypto-Markts treffend erfasst?

Stefan Berger: Also ich will keine Kollegenschelte betreiben, denn ich kenne so viele Menschen im Europaischen Parlament, die sich in dieses Thema tief eingearbeitet haben. Aber es braucht Zeit, bis man versteht, wie Bitcoin, Stablecoins und Tokens funktionieren, deswegen ist das Verstandnis bei vielen Politikern nicht so ausgepragt.

Es ist leider auch die Wahrheit, dass Kryptowerte grundsatzlich ein schlechtes Image haben, weil sie immer mit Darknet und Drogen in Verbindung gebracht werden. Aber mit Krypto kann man auch Alternativen schaffen, zum Beispiel, Banking verbessern. Die Blockchain ist zumindest fur einige Vorgange nutzlich. Wir durfen dieses technologische Potenzial nicht verschwenden, aber dafur haben wir in allen Parteien und bei vielen Politikern noch zu wenig Verstandnis. 

Wird dieses Verstandnis gro?er werden? Ja, weil die Technologie mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Und Kryptos sind nicht immer bose – schlie?lich sind zum Beispiel mehr als 60 Millionen US-Dollar an Spenden in Form von Kryptowahrungen an den ukrainischen Widerstand gegangen. Und deswegen mache ich das alles auch mit der MiCA, um die Grundlagen fur eine etwas veranderte Welt zu legen.

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Regulation and Society adoption

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